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So 24.05.2020 12:00Poetry ohne Slam - Alex Burkhard


Anstandsmenschmensch


Von Alex Burkhard:

 

Anstandsmenschmensch

Ich laufe mit meinem Hund Ibsen durch den Englischen Garten, zusammen mit Anna und ihrer Hündin Christie, einer gut gebürsteten Collie-Dame. Ich bin etwas aufgeregt, denn wir sind auf einem Date. Ibsen und Christie haben sich im Internet kennengelernt, heute tollen sie erstmals zusammen durch die wirkliche Welt.
»Ich wollte eigentlich Holzfäller werden«, sage ich und schaue zu Anna rüber.
»Und was bist du stattdessen geworden?«, fragt sie.
Ibsen hechtet mitsamt seinem Stock in den Eisbach.
»Schwimmer«, sage ich.
Anna und ich sind offiziell nur Begleitung. Wir dürfen – so sieht es die Etikette der Dating-App Hinder vor – ausschließlich stellvertretend für unsere Hunde sprechen, eine Art Live-Synchronisation dessen, was Ibsen und Christie mit ihrer Ganzkörperkommunikation zum Ausdruck bringen. Alle anderen Gespräche sind nicht erlaubt. Leider ist Ibsen draußen oft ein ziemlicher Einzelgänger, deshalb stockt die Unterhaltung noch etwas.
»Schau mal, der Busch sieht spannend aus«, sagt Anna.
»Finde ich nicht«, sage ich.
»Okay, bist du beeindruckt, wenn ich ’ne Rolle mach?«
Als nun auch Anna neben mir eine Rolle macht, sind Ibsen und ich gleichermaßen sprachlos.


Ibsen war vor zwei Wochen zu mir gekommen und hatte mir sein Leid geklagt. Auf jedem Spaziergang traf er Dutzende Hündinnen, doch außer gegenseitigem Beschnüffeln und ein bisschen über die Wiese springen passierte nie etwas. Er sei jetzt fast acht Jahre alt, es werde langsam Zeit für etwas Festes. Seine dunklen Augen schauten mich traurig an, dann warf er sich auf den Boden und knabberte sich zwischen den Beinen herum. Ein paar Tage später hatte er sich bei Hinder angemeldet und Christie kennengelernt.
Ich gebe Ibsen ein Leckerli. Christie schaut aufmerksam zu ihm rüber.
»Deine größte Schwäche? «, fragt Anna. Ibsen knabbert mir gierig zwei weitere Leckerlis aus der Hand.
»Ich schling das Essen immer so runter. Ich wünschte, ich würde mir dafür mal mehr Zeit nehmen«, übersetze ich.
Ibsen legt unbeholfen seine Pfote auf den Rücken von Christie. Also lege ich einen Arm um Anna. Das Unbeholfene kommt bei mir ganz von selbst. Dann tanzen die Hunde ein bisschen umeinander rum, dann versucht Ibsen, Christie zu besteigen.
»Okay, also, war nett«, sagt Anna mit hoher Stimme. Christie schüttelt Ibsen ab, dann jagen sich die beiden bellend über die Wiese.
»Wieso läufst du vor mir weg? «, frage ich.
»Ich lauf gar nicht weg, du bist nur zu langsam«, sagt Anna.
»Oh, guck mal, Gänsescheiße«, sage ich. Eigentlich müsste ich Ibsen jetzt schimpfen, aber ich möchte ihm sein Date nicht versauen. Jahrelang war ich so konsequent in seiner Erziehung. Während andere Menschen ihren Hunden Fragen stellten – »Bella? Bellaaa? Kommst du jetzt her? Hörst du bitte mal auf, den Mann zu bespringen? « – und weiterschimpften, als Bella schließlich kam – »Was war das, Bella, hm? Was war das, vor drei Minuten, als du nicht sofort gekommen bist? Was du schon längst nicht mehr mit der Bestrafung assoziierst, weil du ein Hund bist? Hm, was war das?! « –, sagte ich nur »Pfui! « und »Ja fein! « und lobte Ibsen für alles, was er gut machte. Sollte ich das alles für ein albernes Date hinwerfen?
»Jetzt lass den Scheiß, und komm weiter«, ruft Anna. Ibsen lässt von der Gänsekacke ab und galoppiert auf Christie zu, also renne ich in Annas Richtung.

In der nächsten Stunde erfahren Ibsen und Christie viel voneinander. Christie beginnt ihren Tag mit Yoga (Herabschauender Hund), sucht immer das Abenteuer und mag keine schönlinghaften Richbacks. Ibsen liebt die vielen unterschiedlichen Gerüche, die der Wind in sein Gesicht weht, er spielt sehr sanft mit Hunden, die kleiner sind als er, und es ist ihm wichtig, immer Kontakt zu halten.
»Ich glaube, wir passen gut zusammen«, sagt Anna jetzt, da Ibsen und Christie Seite an Seite den Kiesweg entlangtraben.

Als wir dem Ausgang des Parks näher kommen, schnaubt Ibsen, als er bei Fuß gehen muss.
»Hasst du es auch so, wenn du immer auf andere hören musst?«, frage ich.
»Oder das ständige Tricksmachen«, sagt Anna, während Christie ihr die Pfote gibt. Ibsen schmeißt sich auf den Rücken, rutscht auf dem Gras hin und her und grunzt dabei wohlig.
»Ich finde die Momente am schönsten, in denen ich einfach ich selbst sein kann«, sage ich.
Ich bin sicher, dass sich Christies Kopf bereits nickend hoch- und runterbewegt, bevor Anna mit einem Leckerli vor ihrer Nase dafür sorgt.
»Finde ich auch. «
An der Ecke zur Leopoldstraße berühren sich die beiden Hunde zum Abschied kurz mit der Schnauze. In den AGB von Hinder steht, dass es den Begleitungen in diesem Fall freisteht, dasselbe zu tun.


Alex Burkhard